Casablanca

Der - laut dem American Fim-Institut zufolge - beste US-Liebesfilm aller Zeiten.

Schon dieser Superlativ wäre ein Grund für die Kulturgottesdienste,diesen Klassiker mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann mal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Und dann gibt es da ja auch die Zitate, die in unser kulturelles Gedächtnis eingegangen sind und zahlreichen popkulturellen Referenzen gezeigt haben:

               "Ich schau dir in die Augen, Kleines"

               "Die üblichen Verdächtigen"

                "Play it again, Sam"

                "Das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft"

                 "Wir haben immer noch Paris"

 

Nach einer Beerdigung vor vielen Jahren hat dieser Film für mich persönlich eine besondere Bedeutung bekommen:. Wie man mit seiner eigenen Vergangenheit einen Weg in die Zukunft findet.

 

 

 

 

Predigt

 

Liebe Gemeinde,

 

Der dritte Bassumer Kinogottesdienst. Mit einem Kinderfilm haben wir begonnen. Ein dramatischer Stummfilm war der zweite. Und jetzt haben wir einen – ja was? Einen Klassiker , Eine Kriegsgeschichte? Ein Agententhriller? Ein Drama?

 

Oder ist es, wie das American Film Institute behauptet, der beste US-Liebesfilm aller Zeiten?

 

 

 

Er ist all das. Und es hängt davon ab, mit welchen Augen sie den Film schauen.

 

Für mich ist es ein besonderer Film. Denn ich habe etwas verstanden durch diesen Hollywood-Klassiker aus dem Jahr 1942.

 

 

 

Vor zehn Jahren kam ich zu einem Trauergespräch. Der Bestatter hatte mich vorgewarnt, dass der Witwer große Schwierigkeiten habe, loszulassen.

 

Wir haben das niedersächsische Bestattungsrecht so sehr gedehnt, wie es nur möglich war. Eigentlich muss eine Leiche 36 Stunden nach dem Tod vom Bestatter abgeholt werden.

 

Drei Tage, länger ging es aus hygienischen Gründen einfach nicht, haben wir dem Mann ermöglicht, zu Hause von seiner Liebsten Abschied zu nehmen.

 

Es war herzzerreißend mit an zu sehen, wie sehr dieser Mann seine Frau geliebt hat und wie er sie nun vermisste.

 

Einen kurzen Moment war ich alleine in seinem Wohnzimmer und ich ließ meinen Blick schweifen. Liegt irgendwo ein Buch aufgeschlagen, das vielleicht das letzte war, dass sein Frau gelesen hat? Oder vielleicht irgendwo Strickzeug.

 

Manchmal legt mir der Herrgott das passende Symbol für eine Beerdigungsansprache vor die Füße…

 

 

 

Mein Blick fiel auf den DVD-Spieler und die aufgeschlagene Hülle darauf. Der letzte Film, den die beiden gemeinsam geschaut haben. Casablanca.

 

Ich hab mir den Film am Abend angeschaut. Und mit den Erinnerungen an das Trauergespräch hatte ich einen Fokus.

 

 

 

Der Film spielt im Dezember 1941 im marokkanischen Casablanca.

 

Casablanca gehörte damals zu französisch-Nordafrika unter der Verwaltung des Vichy-Regimes. Wenn das Vichy-Regime auch nur Marionette der Nazis war, so gab es in Casablanca noch ein klein wenig mehr Freiheit als im besetzten Frankreich. Viele fliehen nach Casablanca, um dort einen Flug ins neutrale Lissabon zu ergattern, von wo aus sie hoffen, weiter nach Amerika gelangen zu können. Die meisten gelangen allerdings nicht über Casablanca hinaus, da der korrupte französische Polizeichef Capitaine Louis Renault, zuständig für die Ausstellung der nötigen Visa, mit den Deutschen zusammenarbeitet.

 

Treffpunkt der Ausreisewilligen ist Rick´s Cafe Americain. Der Besitzer Rick ist Amerikaner, hat im spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Republik gekämpft und Waffen für den Widerstand gegen die italienischen Faschisten geschmuggelt. Doch er ist zu einem desillusionierten Zyniker geworden.

 

Er wird gebeten, zwei Visa zu verstecken, doch der Besitzer wird kurz nach der Übergabe erschossen.

 

 

 

Auf der Suche nach einer Möglichkeit das Land zu verlassen wendet sich der tschechoslowakische Widerstandskämpfer Victor László an Rick.

 

Nicht wissend, dass seine Frau Ilsa ein Jahr zuvor in Paris eine Affäre mit Rick hatte, als sie ihren Mann für tot hielt. Die beiden wollten nach Amerika fliehen, doch Ilsa erschien nicht am Treffpunkt, da sie die Nachricht erhielt, dass ihr Mann noch leben würde.

 

 

 

Rick ist nie über Ilsa hinweggekommen. Verbittert verweigert er den beiden die Visa.

 

Rick bereitet seine Abreise aus Casablanca vor. Er verkauft sein Café an seinen Konkurrenten Ferrari und bietet dem Polizeichef  an, ihm László mit einem handfesten Tatvorwurf ans Messer zu liefern, wenn im Gegenzug er und Ilsa unbehelligt abreisen dürfen.

 

 

 

 

 

Bei einem fingierten Treffen übergibt Rick László die zwei Transit-Visa, doch als der Polizeichef  László damit festnehmen will, hält Rick ihn mit vorgehaltener Waffe davon ab und fährt mit Renault, Ilsa und László zum Flughafen. Dort erschießt Rick den Nazi-Schergen, der die Flucht in letzter Sekunde zu verhindern versucht. Und der französische Polizeichef deckt Rick.

 

Irgendetwas ist geschehen, dass dieser Kollaborateur sein Gewissen, seine Pflicht und sein Rückgrat wiederentdeckt hat.

 

Am Flughafen drängt Rick Ilsa dazu, mit László zu gehen, der sie mehr brauche als er selbst.

 

 

 

„Ich habe versprochen, dich nie zu verlassen“ spricht Ilsa zu Rick und der antwortet:  „Und das wirst du auch nicht“.

 

„Und was wird aus uns“, will Ilsa von Rick wissen.

 

„Wir haben immer noch Paris“, erinnert der sie an ihre gemeinsame Zeit.

 

 

 

Es sind diese Zeilen, die Casablanca für mich zu einem der größten Liebesfilme aller Zeiten macht. Und dabei ist es ganz egal, dass der Film damit endet, dass Rick alleine zurückbleibt und seine große Liebe mit einem anderen Mann in den Wolken entschwindet.

 

Wir haben immer noch Paris…

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

würde ihnen das reichen?

 

Ein Leben aus der Erinnerung.

 

 

 

„Wir haben immer noch Paris…“

 

 

 

Und meine große Liebe entschwindet mit einem anderen Mann in den Wolken.

 

 

 

Aber Rick hat ja immer noch Paris…

 

 

 

Und das ist gelogen. Denn er hat nicht Paris. Er hat nur die Erinnerungen an Paris.

 

 

 

Würde Ihnen das reichen? Ein Leben aus der Erinnerung?

 

 

 

„Wir haben immer noch Paris“ ist nicht der Schlusssatz des Filmes. Eines kommt noch.

 

Rick und der Polizeichef gehen gemeinsam in den Nebel.

 

Und der letzte Satz des Filmes lautet: „Louis, ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.“

 

 

 

Rick, den wir zu Beginn des Filmes als einen verbitterten Zyniker kennengelernt haben, fängt wieder an, sein Leben zu leben. Ohne Elsa. Aber dennoch mit einem neuen Sinn im Leben.

 

Paris hatte Rick vorher schon. Die Zeit mit Elsa hatte er nie vergessen und diese Erinnerung an die Enttäuschung und den Verlust hat ihn mit Bitterkeit angefüllt.

 

Paris hatte Rick vorher schon. Was nun anders ist, ist, dass Rick der Erinnerung einen neuen Fokus gibt.

 

Auf das, was Wundervolles in seinem Leben war und nicht mehr der Blick allein auf den Verlust dieses Wundervollen.

 

Erst am Flughafen bekommt er Paris wahrlich zurück.

 

 

 

Denn er stellt sich seinen eigenen Erinnerungen. Und aus etwas, das für ihn Verloren war, wird etwas, dass es in dieser Welt gibt.

 

 

 

Gott erschuf den Garten Eden und gab dem Menschen damit das Paradies.

 

42 Verse nur dauert es in der Bibel, bis dieses Paradies für den Menschen verloren war. Und 22 dieser Verse erzählen davon, wie dieser Verlust vor sich ging.

 

Also tatsächlich sind es bloße 20 Verse in denen wir Menschen das Paradies hatten.

 

20 Verse von insgesamt 31.102 Versen die es in der Bibel gibt. Weniger als ein Promille.

 

„Wir haben immer noch Paris….“

 

20 von insgesamt 31.102 Versen.

 

Reicht Ihnen das? Ein Leben aus der Erinnerung?

 

 

 

Reicht es Ihnen zu wissen, dass es so etwas wie das Paradies für uns Menschen einmal existierte? Das wir als Kollektiv Mensch das einmal haben erleben dürfen?

 

 

 

Die Bibel berichtet, dass ein Engel mit flammendem Schwert den Eingang zum Garten Eden für uns Menschen verschlossen hält.

 

Wir Menschen sind es, die weitergegangen sind. Das Paradies ist noch da.

 

Aber wenn wir Menschen einen Weg finden, mit diesem Verlust, wenn wir einen Weg finden durch diese Welt, so wie sie halt ist, dann wird aus der Erinnerung des Verlustes die Sicherheit, dass es irgendwo das Paradies gibt. Und damit können wir unseren Weg gehen durch diese Existenz in die wir geworfen sind. Durch unsere Endlichkeit hindurchsehen und zu wissen, woher wir Kraft finden können, mit all dem Bedrückenden unseres Seins einen Umgang zu finden.

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

Wir Menschen haben immer noch Paris.

 

 

 

Und wenn ich alles ein wenig kleiner sehen möchte, wenn ich den größten Liebesfilm aller Zeiten und auch die Heilige Schrift einmal zur Seite schiebe, dann trägt mich die Erinnerung an das ein oder andere Paris meines eigenen Lebens weiter.

 

Ich kann einer gescheiterten Beziehung hinterheulen. Ich kann hadern und meinen Blick nur auf das unschöne Ende richten. So wie Rick es zu Beginn des Filmes getan hat.

 

Oder ich schaue auf das, was Paris erst zu Paris gemacht hat.

 

Und das macht mich frei, mein Leben weiter zu leben.

 

Das macht mich frei von der Last der Erinnerung, die ein Weiterkommen blockiert.

 

Und dann werden meine Erinnerungen zu etwas, das mir Kraft schenkt.

 

 

 

Ich weiß nicht, ob ich mit meiner Beerdigungspredigt dem alten Herrn Fischer weiterhelfen konnte über den einen Tag der Beisetzung hinaus. Ich hoffe es.

 

 

 

Aber mir hat der Tag damals geholfen. Und er markiert für mein eigenes Leben den Beginn einer Heilung von dem, was mir in der Vergangenheit passiert ist.

 

Ich habe Paris erkennen können. Und ich habe begonnen meinen Frieden damit zu finden.

 

 

 

Es ist kein Zufall, dass der letzte Satz des Filmes das Wort „Beginn“ enthält.

 

Und ich wünsche Ihnen allen von ganzem Herzen, dass sie ein Paris haben. Und ich wünsche Ihnen, dass die Erinnerungen an ihr Paris es ihnen möglich macht, auch nach der größten Verbitterung wieder beginnen zu können zu leben.

 

 

 

Und der Frieden Gottes, der höher ist als all unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen

 

 

 

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Bei den Recherchen für einen Kulturgottesdienten erfährt man auch viel, das dann doch nicht Eingang in die Predigt findet. Und so manches Mal auch Begegebenheiten, die noch eine ganz andere Predigt möglich machen würde.

 

Die Zeichentrickserie "The Simpsons" zeigt ein alternatives Ende

Ein anderes Ende zeigt auch die 1087 angefertigte Schnittfassung des Brasilianers  Joao Luiz Albuquerque, in der sich Ilsa am Ende für Rick entscheidet.

Doch zum Thema Happy End hatten wir bereits den Kulturgottesdienst "Der letzte Mann".

 

Da gibt es die ursprüngliche deutsche Fassung aus dem Jahr 1952.  Sieben Jahre nach Ende der Nazi-Herrschaft wollte man in der Bundesrepublik nichts von der Vergangenheit wissen und der Film wurde um 25 Minuten gekürzt und Nazi.frei gestaltet. Der tschechische Widerstandskämpfer wird zu einem norwegischen Wissenschaftler... .... Erst 1975 konnte man die Original-Fassung mit deutscher Synchronistion sehen.

Auch die spanische und die italienische Version des Filmes vertuschen die historischen Bezüge ihrer Länder.