Jedes Jahr am Aschermittwoch sind wir zu Gast in Rehburg. Eine Kooperation mit den Stolpersteinen.
Eine Auseinandersetzung mit der Deutschen Geschichte ist dabei die Vorgabe für das Thema des Gottesdienstes.
Im Jahr 2024 ist uns der Anlass ins Gesicht geschlagen worden: Ein Treffen der AfD mit anderen Faschisten um eine Wiedereinführung von Konzentrationslagern zu planen.
Bei aller sprachlichen Zurückhaltung, die einem Pastoren geziemt: Ich hätte nicht so viel fressen können, wie ich da hätte kotzen wollen.
Aber etwas Wunderbares ist danach geschehen. Die größte Protestbewegung der Deutschen Nachkriegsgeschichte. Millionen Menschen gingen über Wochen auf die Straße für unsere Lebensart der parlamentarischen Demokratie. So ganz anders war es, als die aggressiven und hasserfüllten Kundgebungen der Neonazis und Querdenker. Friedlich war es. Und es wurde gesungen.
Aber reicht das? Ein paar Liedchen trällern und die Gefahr eines 4.Reiches ist gebannt?
Dieser Frage haben wir uns im Gottesdienst gestellt, untermalt mit den Klängen von Protestliedern der letzten hundert Jahre.
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Lesung
Sie ergriffen Paulus und Silas, schleppten sie auf den Markt vor die Oberen und führten sie den Stadtrichtern vor und sprachen: Diese Menschen bringen unsre Stadt in Aufruhr; sie sind Juden und sie verkünden Ordnungen, die wir weder annehmen noch einhalten dürfen, weil wir Römer sind. Und das Volk wandte sich gegen sie; und die Stadtrichter ließen ihnen die Kleider herunterreißen und befahlen, sie mit Stöcken zu schlagen. Nachdem man sie hart geschlagen hatte, warf man sie ins Gefängnis und befahl dem Aufseher, sie gut zu bewachen. Als er diesen Befehl empfangen hatte, warf er sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Block. Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Und die Gefangenen hörten sie. Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben, so daß die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Und sogleich öffneten sich alle Türen, und von allen fielen die Fesseln ab. Als aber der Aufseher aus dem Schlaf auffuhr und sah die Türen des Gefängnisses offenstehen, zog er das Schwert und wollte sich selbst töten; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen. Paulus aber rief laut: Tu dir nichts an; denn wir sind alle hier! Da forderte der Aufseher ein Licht und stürzte hinein und fiel zitternd Paulus und Silas zu Füßen. Und er führte sie heraus und sprach: Liebe Herren, was muß ich tun, daß ich gerettet werde? Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig! Und sie sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem Hause waren. Und er nahm sie zu sich in derselben Stunde der Nacht und wusch ihnen die Striemen. Und er ließ sich und alle die Seinen sogleich taufen
Als es aber Tag geworden war, sandten die Stadtrichter die Amtsdiener und ließen sagen: Laß diese Männer frei!
Und der Aufseher überbrachte Paulus diese Botschaft: Die Stadtrichter haben hergesandt, daß ihr frei sein sollt. Nun kommt heraus und geht hin in Frieden! Paulus aber sprach zu ihnen: Sie haben uns ohne Recht und Urteil öffentlich geschlagen, die wir doch römische Bürger sind, und in das Gefängnis geworfen, und sollten uns nun heimlich fortschicken? Nein! Sie sollen selbst kommen und uns hinausführen! Die Amtsdiener berichteten diese Worte den Stadtrichtern. Da fürchteten sie sich, als sie hörten, daß sie römische Bürger seien, und kamen und redeten ihnen zu, führten sie heraus und baten sie, die Stadt zu verlassen. Da gingen sie aus dem Gefängnis und gingen zu der Lydia. Und als sie die Brüder gesehen und sie getröstet hatten, zogen sie fort.
Liebe Gemeinde,
Ich bin viele Jahre lang nicht mehr auf einer Demonstration gewesen. Aus vielerlei Gründen.
Der eine war: Ich fühle mich in Menschenmassen nicht besonders wohl. Aber schwerer wog mein mangelndes Vertrauen darauf, dass Demonstrationen irgendwen beeindrucken würden.
Ich habe in Berlin gelebt und in der Hauptstadt gibt es jeden Tag Dutzende von Demonstrationen und kein Hahn kräht danach.
Mehr und mehr fühlte es sich für mich an, als sei die Arroganz der Mächtigen immun und die Bevölkerung zu träge im Herzen geworden gegenüber Aufzügen. Und vielleicht waren die Anliegen, für die ich früher auf die Straße ging, schlicht nicht von Interesse für eine große Masse.
Ich war auf Demonstrationen mit brennenden Barrikaden und Wasserwerfereinsatz. Aber letztendlich haben auch diese Demonstrationen nichts bewirkt.
Aber in den letzten Wochen war ich wieder auf der Straße. Und mit mir die größte Anzahl an Demonstranten, die es seit dem Kriegsende je gegeben hat.
Da war etwas anders als bei den Demonstrationen meiner Jugend und Adoleszenzjahre.
Es waren bundesweit so viele Menschen auf der Straße, dass ich die Hoffnung hatte, dass sich etwas bewegen wird.
Und es wurde gesungen. Es war friedlich. Es war fröhlich, trotz des ernsten Anlasses.
Die Bilder der Demonstrationen von Corona-Leugnern, AfD und Wutbürgern in den vergangenen Jahren sahen anders aus. Hasserfüllte Gesichter, Galgen als symbolische Mordaufrufe. Und immer nur dagegen.
Nun war es anders. Viele Menschen, die zum ersten Mal auf einer Demo waren. Handgemalte Plakate, die fast rührend waren. Und auch wenn es landläufig hieß, die Demonstrationen wären gegen die AfD, habe ich es anders wahrgenommen. Es waren Demonstrationen für die Demokratie. Und die Ablehnung der AfD, als derzeit größte Gefahr für unsere Demokratie, war nur daraus abgeleitet.
Es war bunt und vielfältig.
Und bei den zwei Momenten die ich beobachtet habe, in denen Parolen skandiert wurden, die nicht friedlich und gewaltfrei waren, reichten Blicke um diese zum Verstummen zu bringen. Auf diesen Demonstrationen sollte es anders sein und darauf haben sich alle eingelassen.
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Beten Sie?
Vielleicht vor dem Einschlafen? Oder in Momenten der persönlichen Krise? Im Gottesdienst?
Und wenn ja, was erwarten sie als Resultat dieses Gebetes?
Haben sie je die Erfahrung machen können, dass nach ihrem Gebet ein Wunder geschehen ist, und ihre Bitte erhört und umgesetzt wurde?
Ich habe die Naturwissenschaften nie verachtet. Und vieles, was ein Betender als Folge seines Gebetes bezeichnen könnte, ist mit einfacher Wahrscheinlichkeitsrechnung oder mit Wahrnehmungspsychologie erklärbar.Glück oder Zufall wären auch noch zwei Begriffe, mit denen man die Wirkung von Gebeten relativieren kann.An das Wirken von Gebeten kann man nur glauben, beweisen lässt sich das nicht.
Sie haben Protestlieder gehört. Aus der Zeit der Märzrevolution vor bald 180 Jahren, aus den sechziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Auf Deutsch und Englisch.
Was sollen solche Lieder bewirken?
Glauben sie ernsthaft daran, dass man mit so einem Lied auch nur einen einzigen AfD-Wähler vom Sinn und Nutzen einer parlamentarischen Demokratie überzeugen kann. Lässt sich mit so einem Lied ein einziger politischer Mord verhindern? Glauben sie ernsthaft, wenn wir nur genug singen, werden wir schon die politische Agenda verändern?
Ich habe ihnen die Geschichte von Paulus im Gefängnis vorgelesen. Da wird gebetet und Gott greift mit einem Erdbeben ein, die Türen öffnen sich und die Fesseln fallen ab.
Und dann bekehrt Paulus durch dieses Gebet gleich noch den Gefängniswärter und seine ganze Familie.
So ein Gebet kann wohl was bewirken.
Aber damit ist die Geschichte nicht zu Ende. Wenn Paulus jetzt einfach geflohen wäre, dann wäre die Staatsgewalt ihm immer noch auf den Fersen.
Der eigentlichen Gefahr entgeht Paulus nicht durch ein Gebet, sondern durch das Aufdecken eines Verfahrensfehlers. Denn er und sein Mitgefangener wurden auf Befehl des Richters vor dem Einsperren mit Stöcken geschlagen. Paulus war römischer Bürger und eine solche Bestrafung war nur für Nicht-Römer vorgesehen. Und da der Richter Bammel hatte vor Rom, ließ er Paulus mal lieber laufen, als den Prozess durchzuführen.
Wenn ich ganz nüchtern auf das Geschehen schaue, dann war es nicht das Gebet, das Paulus die Freiheit brachte, sondern juristisches Fachwissen.
Gebet, Lieder, Demonstrationen – was soll das bringen.
Damit verändert man die Welt nicht.
Oder doch?
Die Demonstrationen haben etwas bewirkt.
Denn in denen, die dort waren, hat sich etwas geändert.
Gemeinsames auf die Straße gehen, gemeinsames Singen und gemeinsames Beten versichert uns, dass wir nicht alleine sind.
Diese Erfahrungen geben Mut, auch dann den Mund aufzumachen, wenn wir nicht in einer großen Masse unterwegs sind.
Der Göttinger Neurobiologe Gerald Hüther ist sogar davon überzeugt, dass beim Singen die Bereiche im Hirn blockiert werden, die für die Angst zuständig sind. Wer singt, der fürchtet sich nicht.
Und aus eigener Erfahrung und aus Erzählungen scheint das gleiche auch für Gebete zu gelten.
Demonstrieren, Singen, Beten verändern nicht die Situation. Mit Demonstrieren, Singen, Beten erreicht man nicht den Gegner. Aber Demonstrieren, Singen, und Beten verändern uns. Machen Mut und stiften Gemeinschaft.
Liebe Gemeinde, das reicht aber nicht. Das ist die bittere Erfahrung der Lichterketten in den 90er Jahren. Wenn wir da stehen bleiben und mit Singen und beten und demonstrieren bloß unsere Gewissen beruhigt haben und wieder in den Alltag gehen und es dabei bleibt, dann wird sich nichts verändern. Singen beten und demonstrieren sind ein Anfang und singen beten und demonstrieren kann und soll alles weitere begleiten. Aber das alleine reicht nicht.
Wenn sie wirklich mit ganzem Herz auf einer der Demonstrationen waren oder sie wenigstens wohlwollend zur Kenntnis genommen haben, wenn sie wirklich Angst um unsere Demokratie und unser Miteinander in diesem Land haben, dann haben sie noch einiges vor sich. Die Gefahr für unser Zusammenleben ist nicht mit einem Sprint zu bannen. Das wird ein Marathon.
Und es wird auch nicht immer so sicher und fröhlich sein, wie auf den Demonstrationen. Die Überzeugung und das Bekenntnis zur Demokratie muss im Alltag gelebt werden.
Wenn sie im Schützenverein rassistische Witze hören, müssen sie aufstehen und klar machen, dass für Menschen die solche Witze machen kein Platz im Schützenverein sein darf.
Wenn AfD-Propaganda im Betrieb verbreitet wird, müssen sie Einspruch erheben.
Wenn in ihrem Zeitschriftenladen rechtsradikale Veröffentlichungen wie das Compact-Magazin verkauft wird oder Groschenromane aus der Landserreihe, in denen Kriegsverbrecher verherrlicht werden, dann machen Sie Druck auf ihren Zeitschriftenhändler, dass er das aus dem Programm nimmt.
Und auch auf dem Familienfest, wenn Onkel Herbert seinen Mist ablässt, zu dem sie seit Jahrzehnten augenrollend um des lieben Friedens willen geschwiegen haben, müssen sie bereit sein, sich mit dem anzulegen.
Das ist nicht schön. Und es kann auch dazu kommen, dass Sie plötzlich als der Unruhestifter gelten.
Das wird Mut kosten. Das wird Ärger bringen. Und – auch das darf nicht verschwiegen werden – das kann sie in wirkliche Gefahr bringen. Ich habe mich über die Hunderttausende Demonstranten in Berlin und Hamburg gefreut.
Aber beeindruckt haben mich die paar Hundert, die sich getraut haben in den Nazihochburgen im Osten ihr Gesicht zu zeigen. Dort wo man sich nicht sicher sein kann, ob man auf dem Nachhauseweg noch einem Schlägertrupp begegnet.
Singen, Beten, Demonstrieren können nur der Anfang sein und es ist der harmlose Teil dessen, was wir tun müssen, um die Demokratie zu erhalten.
Als ich diesen Gottesdienst auf Facebook beworben habe, gab es in einem der Foren Kommentare, wie „jetzt nur noch AfD“, aber auch einen, der forderte, dass „Kirche sich nicht in Politik einzumischen habe“.
Ist dem so?
Missbrauche ich gerade die Kanzel für meine eigenen politischen Ansichten?
Verkaufe ich hier irgendetwas als religiös, das es nicht ist?
Linksradikale Hetze – so ist eine Predigt letztes Jahr bezeichnet worden. Und da ist mir etwas deutlich geworden: Ich bin nicht links. Ich bin Christ.
Und meine antifaschistische Grundhaltung leite ich mittlerweile ausschließlich aus der Botschaft Jesu ab und nicht aus irgendeinem Parteiprogramm.
Weil ich mich Christ nenne bin ich zur Mitmenschlichkeit verpflichtet. Und ich würde mich, Sie und meinen Gotte belügen, wenn ich beim Faschismus schweige.
Und wenn ich persönlich Angst habe um die Zukunft des Landes in dem ich lebe, dann bringe ich das genauso vor Gott wie jedes andere private Anliegen auch.
Und im Gebet finde ich die Kraft und den Mut.
Und wenn das ein anderer in den Liedern findet, die wir heute abend hören, dann kann ich fröhlich mit dem Seit an Seit auf die Straße gehen.
Mein Glaube verpflichtet mich zum Handeln. Und das kann auch heißen, mich mit meinem Glauben in die Politik einzumischen.
Dietrich Bonhoeffer, der seinen Antifaschismus mit dem Leben bezahlte hat es deutlich ausgedrückt:
„Wenn ein Wahnsinniger mit dem Auto durch die Straßen rast, kann ich als Pastor, der anwesend ist, nicht nur die Überfahrenen trösten oder beerdigen, sondern ich muß dazwischenspringen und ihn stoppen.“
Aber das heißt auch, dass ich das friedlich tun werde. Mit Liedern und mit Gebeten und mit klarer Haltung. Friedlich heißt aber nicht, um des lieben Frieden Willens zu schweigen. Und der Unfriede der daraus entstehen kann, ist einer, den ich aushalten muss. Und diesen Unfrieden muss ich auch anderen zumuten, die nicht glücklich damit sind, dass besagter Onkel Herbert wutschnaubend das Familienfest verlässt. Diesen Unfrieden muss ich den anderen Schützenbrüdern und Schwestern zumuten, die es lieber hätten, wenn man den rassistischen Witz unkommentiert ließe.
Ich mute ihnen damit viel zu. Das weiß ich. Ich bitte sie dennoch, mutig zu sein und diesen Unfrieden auf sich zu nehmen.
Lieder und Gebete reichen nicht um diesen Nazi-Spuk zu beenden. Aber sie sind ein Anfang und sie sind das, was den Mut geben kann, das zu tun, was wir tun müssen.
Drum ihr Bürger, drum ihr Brüder
alle eines Bundes Glieder
was auch Jeder von uns tu,
alle die dies Lied gesungen,
so die Alten wie die Jungen
tun wir, tun wir was dazu-
Tun wir, tun wir was dazu!
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
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