1914 - Kein einfaches Jahr für die Kirche. Haben wir als Institution unsere Rolle in der Nazizeit zumindest etwas aufgearbeitet, so ist dieses Jahr, in dem sich die Evangelische Kirche allles andere als mit Ruhm bekleckert hat, noch ein ziemlich grauer Fleck im geschichtlichen Bewusstsein.
Mit Unterstützung des Michaelisklosters und dem Fachbereich Kirchengeschichte der Humboldtuniversität Berlin haben wir einen Gottesdienstablauf des Jahres 1914 rekonstruiert und gehalten. Gebete und anlässlich des Krieges umgedichtete Kirchenlieder wurden einem "Kriegslieder- und Gebetsbuch" von 1914 entnommen. Credo und Vaterunser im alten Wortlaut. Einzige Änderung des Ablaufes war, das zwei Predigten gehalten wurden.
Die erste Predigt wurde von Otto Dibelius verfasst und zeigt, wie sehr Kirche in dieser Zeit der deutschnationalen Idee verhaftet war. Die Predigt entspricht den umgedichteten Liedern und Gebeten (siehe Textbeispiele weiter unten) Die zweite Predigt stammt aus der Feder Karl Barths und ist - nach der Lektüre unzähliger furchtbarer Predigten während der Gottesdienstvorbereitungen - als Gegenentwurf und auch als ein Stück "Ehrenrettung" dazu genommen worden. Als Zeichen, dass es zumindest einige wenige Theologen gab, die dem unseligen Zeitgeist nicht verfallen waren.
Wir haben den Gottesdienst von 1914 vorzeitig abgebrochen und sind "wieder in die Gegenwart zurückgekehrt". Der historische Gottesdienst war - wie von uns erwartet - eine inhaltliche Zumutung. Ein Gottesdienstbesucher sagte im Anschluss bei den Gebeten und der Predigt hätte er das Credo nicht mitsprechen können. Vor dem Schlusssegen haben wir abgebrochen und die Frage gestellt, ob das bislang ein Gottesdienst war. Kopfschütteln war die Reaktion. Wir haben den historischen Gottesdienst als eine Form des Schuldbekenntnises gedeutet. Schuld, die wir als Kirche auf uns geladen haben. Ein deutliches vor Augen führen, wie sehr wir als Kirche den Weg verfehlt haben, der uns vorgegeben ist. Erst dann konnten wir den Segen von Herzen sprechen und die Gottesdienstbesucher den Segen empfangen.
Als Rückmeldung auf den Gottesdienst haben wir bekommen, dass sich der Abend erst am nächsten Tag "gesetzt" hätte. Wir haben sicherlich keine Schonkost serviert, aber alles andere wäre dem Thema nicht gerecht geworden.
Musikalisch wurde der Abend von unserem Organisten Peer Schober und der Opernsängerin Jenni Franckenstein-Magiera mit Musik von S. Karg-Elert gestaltet.
Materialien:
Sie können die Predigt von Otto Dibelius, verfasst 1914, HIER als pdf-Datei downloaden.
Eine Aufnahme der Musik aus diesem Kulturgottesdienst können Sie HIER im MP3-Format downloaden.
Gebet aus dem Kriegslieder- und Gebetsbuch von 1914:
Heiliger und barmherziger Gott,
erzeige uns deine Gnade und hilf uns.
Schwere Wetter steigen auf, Kriegsgeschrei ist rings um uns her.
Ach dass wir unter dem Toben der Völker deine Stimme hörten und deinen Geist uns strafen ließen.
Mit Langmut hast du uns geschont und Geduld mit uns gehabt, aber wir sind über deine Güte allzu sicher geworden, haben dein Wort vergessen, viel wider einander gemurret, aber wenig füreinander gebetet, haben auf unsere Weisheit, unser Vermögen und Werk vertraut, statt allein auf dich unsere Hoffnung zu setzen.
In dieser Demut kommen wir zu dir, Herr, unser Gott.
Laß uns eins werden in Erkenntnis unserer Sündem dass wir auch eins werden im Vertrauen auf dein Erbarmen.
Deine Gnade sei unser Trost, dein Friede unsere Kampfesrüstung.
Sei eine feurige Mauer um unser Vaterland her und erzeige dich herrlich darinnen.
Du bist der König von Alters her, der alle Hilfe tut. Darum, wenn sich schon ein Heer wider uns leget, fürchtet sich dennoch unser Herz nicht. Deine Rechte behält den Sieg, du König der Heerscharen.
Deinem allmächtigen Schutz befehlen wir uns alle, unser ganzes deutsches Vaterland und seine Fürsten und Völker,
insbesondere den Kaiser, unseren König und sein Haus. Laß deine Güte ihn und sein Volk und Land allewege behüten.
Ziehe aus in deiner Kraft mit den Heeren unseres Königs und seiner Verbündeten.
Sei du der Oberste im Kriegsrat. Die Augen mach helle, den Rat weise und das Herz mutig.
Stärke du unseren Streitern den Arm zum Sieg über die Feinde. Gedenke unserer Söhne, Gatten, Väter, Brüder und Freunde. Mache sie opferwillig für unser liebes Vaterland, treu im Gehorsam, willig in der Vollbringung ihrer Pflichten, mutig und getrost im Kampfe. Auch gegen den Feind lass sie sich erweisen als Christen, dass sie ohne Not niemandem Gewalt tun. Sei du unseren Lieben nahe und schütze sie in Gefahr und Not.
Wächst die Not, so mache die Liebe brenndender, dass sie rastlos einhergehe und den Verwundeten und Kranken Pflege bringe, den Hungernden und Armen Obdach und Speise.
Knüpfe durch die Trübsal neue Liebesbande, führe uns durch Kampf und Sieg zu neuen Siegen deines Reiches und lass über unserem Vaterlande einen Frieden aufgehen, der deines Namen Ehre ist.
Herr Gott sei uns gnädig, erbarme dich über uns und erhöre unser Gebet um Jesu Christi willen.
Amen
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