5. Kulturgottesdienst

Der liebe Gott sieht alles - aber er petzt nicht

am 25. Januar 2008

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Es ist seit Jahren ein Streitpunkt, ob sich die Kirche politisch mehr engagieren soll. Die Meinungen gehen dabei auseinander.

Bei Themen, die den Kern unseres Glaubens berühren, ist eine klare Stellungsnahme jedoch unvermeidlich. Die Tradition der alttestamentlichen Propheten als Korrektiv der Mächtigen gibt uns diese Aufgabe auf.

Die Ausweitung der Überwachung von Bürgern durch den Staat und durch Konzerne in den letzten Jahren ist ein solches Thema, dem wir uns annehmen wollten.

 

Wir konnten mit Padeluun einen Vertreter der Kulturform politische Rede gewinnen konnten, in unserer Kirche zu sprechen. Padeluun ist einer der ersten Netztheoretiker, der schon lange vor der Inbetriebnahme des W.W.W. sich mit Fragen von Freiheit und Datenschutzes angesichts der neuen technischen Möglichkeiten auseinander gesetzt hat. Bekannt geworden ist er durch die - mit 34.000 Unterstützern - größte Verfassungsbeschwerde in der Geschichte der BRD gegen die Vorratsdatenspeicherung von Personendaten und das von ihm verfasste Mailboxprogramm Zerberus, das 20 Jahre vor dem Web 2.0 dessen Grundideen möglich gemacht hat. Kurz nach seiner Predigt wurde er als Mitglied der Enquetekommission Internet und digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestages berufen.

 

 Gefreut hat uns, dass bei der großen Veranstaltung auf dem Kirchentag 2015 zum Thema Datenschutz ausgiebig aus unserem Gottesdienst zu diesem Thema zitiert wurde.

 

 

 

 

 

Predigt von padeluun

Fühlen Sie sich wohl? Ich meine jetzt nicht die täglichen kleinen Misslichkeiten: ein Zwicken hier, ein wenig Liebeskummer da. Wenn ich Sie frage, ob Sie sich wohlfühlen, meine ich was ganz Anderes.
Ich persönlich kenne eine ganze Menge Menschen, die haben da so ein komisches Gefühl in der Magengrube. Ein Gefühl, das sie gar nicht so richtig artikulieren können. „Ach egal“, sagen wir uns oft, „Was soll mir schon passieren? Ich habe doch gar keine wichtigen Geheimnisse, nichts zu verbergen.“ Und doch ist da dieses seltsame Gefühl. Zum Beispiel am Telefon, soll ich meiner Enkelin am Telefon sagen: „Ich hab dich lieb.“? Das ist ja eigentlich gar nicht geheim, das ist nicht besonders wichtig für andere. Aber es geht auch niemand anderen etwas an. Sie brüllen ja auch nicht im Bus lauthals ins Handy: „Hallo Enkelin, ich hab dich lieb!“ Denn das ist etwas was nur Sie beide angeht, Sie und Ihre Enkelin. Sie möchten doch sicherlich nicht, dass heimliche Lauscher das mitbekommen.

Ich möchte keine heimlichen Lauscher in meinem Telefon.
Und doch werden seit Anfang Januar letzten Jahres alle Verbindungsdaten von Telefon- und Internetverbindungen aufgezeichnet. Also, wenn Sie telefonieren, nimmt es ein Rechner auf – nicht das Gespräch, sondern dass Sie telefonieren, mit wem Sie telefonieren, wie lange und von wo aus Sie telefonieren. Ein Rechner speichert das für mindestens ein halbes Jahr. Das heißt „Vorratsdatenspeicherung“.
Aber ich will nicht überwacht werden. Ich bin nämlich ein ganz unbescholtener Mensch und ich habe nichts Illegales im Sinn. Und deswegen will ich auch nicht überwacht werden.
Kürzlich war ein freundlicher Herr am Telefon, der hat mich Nachmittags, kurz nachdem ich aus dem Büro kam, angerufen. Er kannte sich ziemlich gut aus mit meiner Familie und meinte es nur gut. Er sagte, dass wir da so Probleme hätten, mit unserem Versicherungsvertrag. Wir sind unterversichert. Und da ist eine Versicherungslücke über Hausrat und Haftpflicht. Mit einem ein wenig teureren Vertrag könnten wir das dann ausgleichen. Aber warum wusste er soviel über mich und meine Familie? Firmen und auch die Politik wandeln auf ganz gefährlichen Wegen.

Um Wartungsverträge zu verkaufen, die monatlich Geld einbringen, ohne, dass sie dafür etwas leisten müssen, und um Gebühren für Datenleitungen zu kassieren, jubeln sie unsägliche Technik hoch und verkaufen zum Beispiel Videoüberwachung und Einbruchmeldeanlagen an Kommunen und an Privatbesitzer von Häusern.
Obwohl die Kriminalistik und jeder Kriminalbeamte uns sagen wird: "Eine Einbruchmeldeanlage nutzt gar nichts." Was man sicherstellen muss, ist, dass ein Täter gar nicht erst ins Haus kommt. In den Medien werden trotz sinkender Kriminalitätszahlen einzelne schlimme Fälle so aufgebauscht, dass wir gerade zu freiwillig bereit zu sein scheinen, die Errungenschaften von Demokratie und die Errungenschaften eines Rechtsstaates komplett über Bord zu werfen. Wir neigen dazu dem – ich nenne das immer „populistischen Geschwätz“ – von mehr Sicherheit zu glauben. Also wir neigen dazu dem populistischen Geschwätz, (wenn uns jemand sagt wir brauchen mehr Sicherheit) von mehr Sicherheit zu glauben. Statt den Wissenschaftlern, die sich wirklich mit dem Thema auskennen, zuzuhören. Klingt kompliziert, ist scheinbar nicht so einfach.

Aber wir könnten uns auch selbst fragen, einmal in uns hinein hören: Leben wir nicht in einem der sichersten Länder der Erde? – Ja. Muss ich dann ganz persönlich Angst vor einem terroristischen Anschlag haben? (padeluun adressiert gezielt Personen in der Zuhörerschaft) Sie? Sie? Nein? – Nein. Was soll also diese ganze Überwachungsfrage, mit der wir uns immer mehr auseinandersetzen müssen? Diese Überwachungspakete, die geschnürt werden, statt Sozialpakete für Arbeitslose? Warum lassen wir so etwas wie Vorratsdatenspeicherung zu? Warum schreien wir nicht auf, wenn das Trennungsgebot von Geheimdienst und Polizei aufgelöst wird? Wenn so etwas auf uns zu kommt, wie das BKA-Gesetz, in dem eine unglaubliche Macht einer zentralen Stellen übergeben wird? Warum lassen wir das zu? Warum stehen wir nicht auf und protestieren laut gegen diese Hybris der Poltitik, die anscheinend allwissend werden möchte? Warum lassen wir es zu, wenn unsere Rechte ausgehebelt werden, damit der ehemalige Innenminister Otto Schily bei gleich zwei RFID-herstellenden Firmen im Aufsichtsrat sitzen kann? Dass wir in unseren Reisepässen und demnächst in unseren Personalausweisen einen RFID-Chip haben müssen? Das hat keinen Sinn, außer, dass die Bundesdruckerei Geld verdient. Es gibt keinen sicherheitsrelevanten Grund für diesen Chip, im Gegenteil; diese Chips machen die Ausweise unsicher, weil sie ortbar sind.

Wissen sie, wann ich zum ersten Mal zu dem Thema Datenschutz gekommen bin? Wann ich das erste Mal richtig das Gefühl hatte, dass wir uns mit diesem Thema in einer digitalen vernetzten Welt beschäftigen müssen; und zwar intensiv beschäftigen müssen? Das war so etwa 1989 oder 1990 – ich weiß es nicht mehr so genau – Ich arbeitete damals mit einem Vorläufer dessen, was man heute Internet nennt. Es hieß „Mailbox“. Das war ein ganz normaler Computer, und diesen konnten Menschen mit ihren Computern anrufen und Nachrichten für andere Menschen hinterlassen. Eine „E-Mail“ – nennt man das heute. Diese Mailbox zeigte übrigens alles, was jemand schrieb, direkt auf dem Monitor an.
Der Computer stand in meinem Hausflur – ich musste immer nachsehen, ob er noch lief, denn er stürzte damals immer ab – und wenn ich dann darauf guckte, sah ich eben, was passierte.
Bei so einem Kontrollblick sah ich eines Tages, dass sich gerade Peter – ein sehr guter Freund von mir, Programmierer von Beruf – eingeloggt hatte und begann eine Nachricht zu schreiben; an Monika. Da durchfuhr es mich: „Na, zwischen den beiden läuft doch 'was.“

Und wenige Sekunden später meldete sich mein Gewissen und sagte: „Das geht dich aber gar nichts an. Wenn sich zwischen den beiden etwas anbahnt, hast du das entweder von ihr oder von ihm zu erfahren. Aber nicht dadurch, dass du auf dem Rechner siehst, dass er ihr eine Mail schreibt.“ Mir war sofort klar, dass mich das überhaupt nichts angeht.
Und überall im Land gab es solche Systeme, wo Leute zuschauen konnten, was andere schrieben. Doch die meisten Leute, die es genutzt haben, wussten nicht, dass dort jemand zuschauen kann. In einer digitalen vernetzten Welt sind Sachen anders geworden. Heute gibt es nicht mehr ausschließlich den Briefumschlag, in den man ein Blatt Papier hinein legt, ihn zuklebt und der dann – von Gesetzen geschützt – transportiert wird. Mir wurde schlagartig klar, dass wir Menschen vor der Technik sowie den Technikern, den Systemhausmeistern und unseren Vorgesetzten schützen müssen.
Im Fall von Peter und Monika war es nun sehr einfach. Mein Freund Peter ist, wie ich schon sagte, Programmierer. Und so zwang ich ihn quasi, Datenschutz in die Software einzubauen. Ich erzählte ihm von dem Vorfall, dass ich das Gespräch von ihm und Monika mitbekommen hatte, und schnell war er sehr, sehr, sehr engagiert, dafür zu sorgen, dass ich nicht mehr mitlesen kann. Im Feld, in dem man tippte, wurden fortan nur noch Sternchen ausgegeben. Das war ganz einfach: vier Zeilen Programmcode.

Ich kann Ihnen dazu kurz sagen, wir haben später eine Firma gegründet und diese datenschutzfreundliche Software angeboten, mit noch weiteren Möglichkeiten. Dort war dann eine richtige Verschlüsselung eingebaut. Doch das war kein gutes Verkaufskonzept. Die meisten Leute haben lieber die Software gekauft, wo die Datenübermittlung nicht so sicher war.
Unsere Software hat sich nicht durchgesetzt. Heute haben wir das Internet. In dem können sehr viele Leute, an sehr vielen Stellen einfach mitlesen. Im Grunde genommen ist in all unseren Datenleitungen eine Art Stasi eingebaut. Politik und Industrie machen sich die Unwissenheit der Öffentlichkeit zu Nutze. Und bauen momentan an einem Datensammelprojekt nach dem anderen. Wenn ich einmal aufzähle: Das Mautsystem, diese komischen Teile über den Autobahnen, die jedes Autokennzeichen erst einmal aufnehmen können. Die Gesundheitskarte: Die Daten der Gesundheitskarten werden ersteinmal zentral erfasst. Und klar, wird gesagt, kommen an diese Daten nur die berechtigten Leute heran. Doch überall dort, wo Daten zentral erfasst sind, gibt es auch Übergriffe. Denken Sie an den Fall der Telekom. Viele Daten waren zentral in den Händen der Telekom und die obersten Leute der Telekom haben darin herum gewühlt und darin herumgeschnüffelt, um ihre eigenen Interessen, z.B. gegen Gewerkschaften, durchzusetzen.

Und ich glaube, das ist der Punkt, an dem wir Bürgerinnen und Bürger aufstehen müssen, uns versammeln müssen, um laut unsere Grundrechte einzufordern. Sonst ändert sich nichts in diesem Jahr 2009, in dem Europawahl, Bundestags- und Kommunalwahlen sind. Allwissend soll die Politik niemals über Menschen sein, unser Grundgesetz ist dafür errichtet worden – damals unter dem Eindruck dieses schrecklichen Krieges, mit dem Menschenvernichtung einher ging – dass Bürgerinnen und Bürger den Staat immer abwehren können. Das gesamte Strafgesetzbuch ist dafür da, um zu regeln, was der Staat darf, wie viel Zugriff er auf die Menschen haben darf - und wie viel auch nicht.

Manchmal ist es so, dass wir uns bei einigen Sachen wünschen, härter durchgreifen zu können. So etwas kommt immer gut an beim Volk. Tatsächlich ist das in einer rechtsstaatlichen Gesellschaft nicht bewusst nicht gewünscht, denn härter durchzugreifen bedeutet auch, Fehler zu machen. Fehlerhaft über Menschen zu urteilen, die, öfter als man denkt, unschuldig sind. Allwissend, das erlaube ich mir hier in der Martinskirche zu sagen, ist eben nur Gott. Und Gott petzt nicht, darauf können wir setzen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, er bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus unserem Herrn. Amen.