Passend zum Proprium und der Lesung zum 1. Advent sollte es um Erwartungen gehen. Kultureller Beitrag sollte Filmmusik sein und deren Eigenschaft, Erwartungen zu wecken - denken sie nur an die Melodie aus dem weißen Hai. Die Musik erklingt und man weiß anhand der Melodie schon genau, ob es nun romantisch oder spannend, lustig oder blutrünstig auf der Leinwand wird. Die Erwartung an den Messias, wie sie im Alten Testament geweckt werden und die Nichterfüllung vieler dieser Erwartungen durch Jesus als biblischer Input - fertig ist ein Kulturgottesdienst.
Und dann ist uns der Titel dieses Gottesdienstes um die Ohren geflogen..
Zwei Stunden vor Glockenläuten ein Anruf vom gebuchten Musiker: Ich kann nicht, der Coronatest ist positiv...
Ausfallen lassen war keine Option und so habe ich schweren Herzens auf eine Livemusik-Einlage verzichtet und die Filmmusiken im Original auf den MP3-Player geladen.
Und dann fahre ich mit dem Auto vom Hof und muss an der nächstern Kreuzung anhalten, weil jemand mit schmutzigen Gummistiefeln die Straße überquert. Und irgendwie scheint der Herrgott Nachsicht mit uns geübt zu haben, denn das war Nando Rodriguez, der schon mehr als einmal mit uns einen Gottesdienst gestaltet hat.
"Nando! Get in the car, I have a Job for you!"
Und er ist einfach eingestiegen, hat sich auf der Fahrt angehört, was die Idee zum Gottesdienst ist, hat sich in Hoya eine Gitarre geliehen, saubere Klamotten und ordentliche Schuhe hatte ich durch Zufall noch im Auto. Und wäre nicht ein anderer Musiker vorab angekündigt worden, dann hätten die Gottesdienstteilnehmer nicht gemerkt, dass es doch anders war, als wir erwartet hattet.
Lesung
Matthew 21:1 Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus
2 und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt, und gleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir!
3 Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen.
4 Das geschah aber, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht :
5 »Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.«
6 Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte,
7 und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf.
8 Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg.
9 Die Menge aber, die ihm voranging und nachfolgte, schrie: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!
10 Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und fragte: Wer ist der?
11 Die Menge aber sprach: Das ist Jesus, der Prophet aus Nazareth in Galiläa.
Liebe Gemeinde,
Einer der schlimmsten Sätze, die man als Elternteil zu seinem Kind sagen kann lautet: Ich bin enttäuscht von dir.
Ein Schlag ins Gesicht ganz ohne körperliche Gewalt.
Und während ein Handabdruck auf der Wange verblasst, bleibt dieser Satz. Manchmal ein Leben lang. Und selbst wenn der Mensch, der diese Worte ausgesprochen hat schon längst tot ist, können die unerfüllten Erwartungen, die er an sein Kind gestellt hat noch quicklebendig sein.
„Ihre Mutter ist tot! Sie müssen das nicht mehr erfüllen. Sie sind jetzt frei davon“ musste ich einmal in einem Beerdigungsgespräch einer über 70jährigen sagen. Und eine der Standardfragen von mir, wenn ich einen Bauern beerdige lautet: „Wollte er selbst den Hof übernehmen oder musste er?“.
„Mein Kind wird Zahnarzt. Mein Sohn übernimmt den Hof. „
Sätze, die noch nicht einmal an ein Kind gerichtet sein müssen. Vielleicht gefallen in einem Gespräch unter Erwachsenen, doch für das Kind stehen sie dann im Raum. Und selbst, wenn solche Erwartungen niemals in Worte gefasst wurden, sind sie da.
Meine Mutter hat mir mal erzählt, wie es für sie war, als sie zum erstenmal bei ihren Schwiegereltern, meinen Großeltern war. Die wohnten in Stade in einem Viertel, das inoffiziell "Schutzmannhausen" genannt wurde. Eine Siedlung von Beamten der Justiz und Polizei der unteren Dienstränge. Sie empfand das als bedrückend, denn nach ihrer Wahrnehmung definierten sich dort viele über ihre Kinder. „Mein Kind soll es mal besser haben als wir“, wird wohl eine der harmloseren Formulierungen gewesen sein.
Wessen Kind geht zum Gymnasium und wessen macht nur mittlere Reife. Noten wurden verglichen und aus dem Zeugnis der achten Klasse abgelesen, welche Karriere damit im Raum steht.
Mein Großvater war um die 90, als er zu meinem Vater sagte: "Junge, mit deinem Talent hättest du doch wenigstens Superintendent werden können". Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, aber ich glaube dieser Satz fiel anlässlich der Pensionierung meines Vaters. Mein Großvater ist schon viele Jahre tot. Aber auch zwei Generationen später sind diese Erwartungen nicht begraben. Und ich erwische mich immer wieder selber in der Erziehung meiner Töchter, dass auch ich nicht frei von Erwartungen an die beiden bin. Und noch viel schmerzhafter ist es, zu merken, dass die beiden Erwartungen an sich spüren, die ich mir nicht einmal vor mir selbst eingestanden habe.
Und wenn ich sagen würde: „Aber das habe ich nie von dir erwartet“, dann wäre das nur in einem Sinne wahr, nämlich, dass diese Erwartung nie von mir laut formuliert wurde.
Vielleicht sind das die schlimmsten Erwartungen. Die, die nie laut ausgesprochen wurden. Die bei denen man nie weiß, ob man sie denn nun erfüllt hat oder nicht.
Wenigstens Superintendent…. Was hat Opa denn heimlich von meinem Vater erwartet? Landessuperintendent? Oberlandeskirchenrat? Oder gleich Bischof?
Es gab einen Abend, an dem mein Vater meinte, mir seine Karrierepläne für mich zu entwerfen. Bis hin zu gutgemeinten Vorschlägen für das Thema einer Doktorarbeit. Da war ich schon Mitte zwanzig und ich weiß noch, dass ich es an dem Abend kaum geschafft habe, ihm zu sagen, dass eine akademische Karriere mich überhaupt nicht interessiert. Und vor allem, dass ich nicht dazu bereit war, die Erwartungen, die sein Vater an ihn gestellt hat, stellvertretend um eine Generation verschoben, zu erfüllen.
John Lennon, einer der Beatles, erzählte in einem Interview einmal eine Anekdote aus seiner Schulzeit:
"Mit 6 wurde ich schließlich in der Schule gefragt, was ich den werden möchte, wenn ich mal groß bin.
Ich antwortete „glücklich“.
Meine Lehrerin meinte, ich hätte die Frage falsch verstanden. Ich wusste aber, sie hatte das Leben falsch verstanden".
Den Beginn der Adventszeit läuten wir heute ein.
Vier Wochen bis zum Heiligen Abend. Vier Wochen in denen es darum geht, Erwartungen aufzubauen, die sich dann am 24. Dezember erfüllen sollen. Tief in uns gibt es eine Blaupause dafür, wie der Heilig abend sein soll. Angefangen mit dem Baum, weiter über das Essen und die Geschenke und dann die Erwartung an die Harmonie in der Familie.
Es heißt, dass die Auftragsbücher der Scheidungsanwälte nie so gefüllt sind, wie nach Weihnachten.
Je höher die Erwartung, desto tiefer die Enttäuschung.
Erwartungen haben die blöde Eigenschaft, dass sie sich fast immer an andere richten. Es ist dann Onkel Herbert, der das harmonische Weihnachten versaut hat.
Es ist der nörgelnde Vater, das undankbare Kind, die besserwisserische Schwiegermutter – die dann auch noch von ihrem Sohn in Schutz genommen wird. Es sind immer die anderen, die Schuld daran sind, dass die eigenen Erwartungen unerfüllt bleiben.
Ich selber aber hänge so fest an meinen Erwartungen, dass ich meinen eigenen Anteil an einem misslungenen Heilig Abend gar nicht erkennen kann.
Und umso höher meine Erwartungen, desto unmöglicher wird es meinen Mitmenschen, sie zu erfüllen, Und je größer die Differenz zwischen Erwartung und Realität, desto größer die Enttäuschung. Und diese Enttäuschung wiederum trägt dann ihren eigenen Anteil an einer Eskalation. Es ist ein Teufelskreis.
Ich hab da einen guten Tipp für sie. Einen weisen Ratschlag von der Kanzel: Erwarten Sie nur das allerschlimmste vom Heiligen Abend. Diese Erwartung wird sich dann ganz sicher erfüllen, Sie selbst werden schon dafür sorgen.
Erwartungen sind Mist. Und was machen wir? Wir nehmen uns vier Wochen lang die Zeit, um Erwartungen aufzubauen und wachsen zu lassen. Im Radio dudeln die glücklichen Weihnachtslieder rauf und runter voller weißer Weihnacht und glücklichen Familien. Feliz Navidad vier Wochen lang.
Erwartungen sind Mist.
Der vorgegebene Predigttext für den ersten Advent ist die Geschichte vom Einzug in Jerusalem. Eigentlich etwas absurd, dass wir Die Weihnachtszeit mit einer Geschichte beginnen, die den Karfreitag einläutet.
Ein König sollte kommen, einer der die Römer vertreibt. Einer, der das Reich Davids wieder aufrichtet in der Größe und der Pracht, die es 900 Jahre zuvor verloren hat. 9 Jahrhunderte lang ist die Erwartung gewachsen und genährt worden. Erwartungen an den einen Retter, der alles wieder richten wird. Erwartungen, genährt aus der Sehnsucht, die in der jahrhundertelang währenden Besetzung durch fremde Mächte gewachsen ist.
Und dann kommt da einer, auf den sich diese Erwartungen richten – und dann erfüllt er doch nicht das Bild, das ich mir von diesem Retter gemacht habe.
Und Judas wird derjenige sein, bei dem diese Enttäuschung in die Tat umschlägt.
Und letztlich brüllt die ganze Stadt „Ans Kreuz mit ihm“
Und als Pilatus das Volk fragt, was Jesus denn Böses getan hätte? Da brüllen sie nur: Ans Kreuz mit ihm.
Ich hätte Pilatus Frage, warum das Volk Jesus am Kreuz sehen will, leicht beantworten können: Jesus hat die Erwartungen, die an ihn gestellt wurden enttäuscht.
Er hätte nicht gekreuzigt werden müssen. Denn es gab einen Moment in den biblischen Erzählungen, an denen Jesus sich hätte entziehen können. Als er am Gründonnerstag Gott damit konfrontierte, was die Erfüllung der Erwartungen an ihn bedeuten würde. Denn auch Gott erwartet etwas von seinem Sohn. Er soll sich kreuzigen lassen für Gottes großen Heilsplan.
Er soll sein eigenes Leben opfern, um die Menschheit zu erlösen.
Und Jesus spricht es laut aus, dass er selbst das nicht will.
„Lass diesen Kelch an mir vorübergehen“ fleht er Gott an.
Und ich empfinde es als brutal, dass Jesus in diesem Moment keine Antwort bekommt.
Und Jesus antwortet auf die Stille: „doch nicht wie ich will, sondern wie du willst!“
Jesus ergibt sich in die Erwartung seines Vaters an ihn. Und anstatt eines glücklichen Lebens, vielleicht mit Frau und Kindern und am Schluss alt und der Tage satt, stirbt er am Kreuz. Weil er die Erwartungen, die Gott an ihn gestellt hat, erfüllt.
Sie haben Filmmusik gehört heute abend. Und vielleicht haben sie für sich überlegt, was denn für eine Geschichte nach diesen Tönen auf die Leinwand kommen würde.
Filmmusik hat genau diese Aufgabe: Erwartungen aufzubauen.
Aber anders als die Erwartungen über die ich bislang gesprochen habe, wird die Filmmusik erst geschrieben, wenn die Geschichte bekannt ist. Der Komponist weiß, was kommt. Er kennt das Drehbuch. Und so muss er niemanden enttäuschen. Die Erwartungen, die er aufbaut, erfüllen sich.
Doch wir leben keinen Film. Die Filmmusik für unsere Leben wird von anderen mit ihren Erwartungen geschrieben und wir wissen nicht, was im Drehbuch steht. Wir wissen nicht, ob die Rolle, die uns zugeschrieben wird, überhaupt passt.
All das sind die Erwartungen die an uns gestellt werden. Erwartungen, die wir selbst haben sind toll. Vorfreude, Zukunftsvisionen, Und natürlich will man nur das Beste für sein Kind.
Und ich kann mir nur schwer vorstellen, jemals frei von Erwartungen zu sein. Und wollen wir das überhaupt? Keinerlei Erwartungen zu haben hat auch etwas liebloses. Wenn ich gar nichts erwarte, dann ist es mir doch eigentlich egal? Sollen meine Kinder mir wirklich egal sein?
Wo die Grenze ist, liebe Gemeinde, zwischen belastenden und einengenden Erwartungen und einer Gleichgültigkeit, das kann ich ihnen leider nicht sagen.
Vielleicht ist die einzige Richtschnur die wir zur Verfügung haben, die Frage, wie ich selbst mit meinen Erwartungen umgehen würde, wenn sie an mich gestellt werden.
Hätten die Heiligen Drei Könige sich nicht irgendwann gelöst von ihren Erwartung, dass der Heiland in einem Palast geboren werden würde, dann hätten sie den Stall und die Geburt verpasst.
Und was verpassen sie, wenn sie sich nicht von ihren Erwartungen an einen anderen Menschen lösen?
Mit 6 wurde ich schließlich in der Schule gefragt, was ich den werden möchte, wenn ich mal groß bin.
Ich antwortete „glücklich“.
Meine Lehrerin meinte, ich hätte die Frage falsch verstanden. Ich wusste aber, sie hatte das Leben falsch verstanden.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Sinne und Herzen in Jesus Christus. Amen
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