Das Theater zwischen den Dörfern singt:

Das Lied der Nibelungen

Ein Kulturgottesdienst über Loyalität und Treue.

Im Anschluss zeigt das Theater zwischen den Dörfern das Lied der Nibelungen.

 

Mein Großvater erzählte mir al 5-jährigen das Lied der Nibelungen. Am meisten fasziniert hat mich, damals wie heute, Hagen von Tronje. Ist er der Böse oder der einzige Gute in der Geschichte?

 

 

Predigt

 

Liebe Gemeinde,

 

Im Anschluss sehen sie eine Inszenierung des „Lied der Nibelungen“.

 

Eine Geschichte, die mich seit meiner Kindergartenzeit begleitet.

 

Mein Großvater hat sie mir in Episoden jeden Nachmittag erzählt. Drachen, Zwerge, Ritter. Eine Tarnkappe, ein Schwert, das selbst Stein zu zerschneiden vermag. Große Liebe, Eifersucht und Verrat,

 

Ich fand es als Kind großartig.

 

 

 

Das Theater zwischen den Dörfern endet nachher mit den Sätzen:

 

Und was machen wir jetzt?

 

Mit all den offenen Fragen?

 

Wer ist wirklich Schuld an dem schrecklichen Ende der Geschichte?

 

Und:

 

Hätte man das verhindern können?

 

 

 

 

 

Als ich als Kind auf der Rückenlehne des Sofas lag und meinem Großvater zuhörte, da habe ich die Geschichte einfach so hingenommen. Die war spannend. Und sie blieb für mich auch noch viele weitere Jahre lang vor allem das: Eine spannende Geschichte.

 

Und: Hätte man das verhindern können?

 

 

 

Vielen Dank, liebes Theater zwischen den Dörfern. Ihr stellt am Ende der Geschichte die genau richtige Frage. Am Ende einer Geschichte, die ich so oft gehört habe. Die mich bewegt hat, bei einer Autofahrt in den Süden einen Umweg nach Worms zu machen um die Schauplätze der Geschichte mit eigenen Augen zu sehen.

 

Und: Hätte man das verhindern können?

 

Stück für Stück angelt die Erzählerin in dieser Inszenierung die einzelnen Episoden aus den Tiefen des Rheins. Stück für Stück. Und plötzlich merke ich, dass das Lied der Nibelungen eigentlich nicht das ist, wie ich es als Kind gehört habe. Es ist brutal, und es ist eine Geschichte, in der ich eigentlich keine einzige der Rollen würde einnehmen wollen. Und eine Geschichte, die im Original mit dem Satz endet:

 

„Ich kann euch nicht sagen, was danach geschah,

 

nur dass man Herren und Damen,

 

dazu edle Ritter,

 

den Tod ihrer lieben Freunde beweinen sah“

 

 

 

An welchem Punkt der Geschichte hätte man die Katastrophe verhindern können?

 

Diese Geschichte hat kein Happy End und sie zeigt uns auch nicht eine Lektion, die wir lernen sollen, wie es in den Grimmschen Märchen gemacht wird. Das Nibelungenlied hat keine Moral von der Geschicht. Es sind einfach alle tot.

 

„Ich kann euch nicht sagen, was danach geschah,

 

nur dass man Herren und Damen,

 

dazu edle Ritter,

 

den Tod ihrer lieben Freunde beweinen sah“

 

 

 

Äußerst unbefriedigend für den Leser. Ich habe nicht viele Romane in meinem Regal, die so enden. Und bei denen, die so katastrophal enden, beschleicht mich das Gefühl, dass die Autoren einfach keine gute Auflösung gefunden haben und deshalb einfach alle sterben lassen.

 

Äußerst unbefriedigend für den Leser, denn ich glaube es ist ein menschliches Grundbedürfnis, ein Happy End zu bekommen und nicht inmitten von einer Blutlache auf der letzten Seite alleine gelassen zu werden.

 

 Wir sind in der Passionszeit. Und wir bereiten uns auf Ostern vor. Stellen sie sich vor, die Evangelien hätten ihren Bericht am Kreuz enden lassen.

 

Und zu der neunten Stunde rief Jesus laut:

 

Eli, Eli, lama asabtani?

 

das heißt übersetzt:

 

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

 

Da lief einer und füllte einen Schwamm mit Essig,

 

steckte ihn auf ein Rohr, gab ihm zu trinken und sprach:

 

Halt, laßt sehen, ob Elia komme und ihn herabnehme!

 

Aber Jesus schrie laut und verschied.

 

 

 

Ich bin mir sicher, das Christentum wäre keine Weltreligion geworden. Und mit so einem Ende, wären alle Wundergeschichten, jedes Gleichnis und auch noch der letzte gute Vorschlag der Bergpredigt völlig wertlos.

 

 

 

Nein, so darf eine Geschichte nicht enden.

 

Aber fast so hat der Evangelist Markus seine Version von der Geschichte enden lassen. Nicht am Kreuz, aber auch nicht mit einem befriedigendem Happy End.

 

Sein Ende ist am Ostermorgen. Die Frauen, die als einzige bis zum Schluss am Kreuz ausgeharrt haben wollen den Leichnam von Jesus für die Beerdigung vorbereiten. Doch das Grab ist leer. Der große Stein der den Eingang verschloss ist weggerollt und ein Unbekannter steht dort und spricht:

 

 

 

Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten.

 

Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, daß er vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.

 

Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich.

 

Ende der Geschichte.

 

Und sie sagten niemanden etwas, denn sie fürchteten sich.

 

 

 

Für mich als Leser ein äußerst unbefriedigendes Ende. Und damit bin ich nicht allein. Schon im zweiten Jahrhundert hat sich ein Theologe rangesetzt und ein neues Ende geschrieben. Einer, der es nicht ausgehalten hat, dass die Geschichte seines Heilandes so endet. Und zwölf weitere Verse fügt er hinzu.

 

Er berichtet von der Erscheinung Jesu vor Maria aus Magdala, vor den Jüngern und von seiner Himmelfahrt. Er berichtet davon, dass die Furcht überwunden ist. Dieser Schreiber gibt dem Evangelium ein Happy End. Jeder Hollywood-Drehbuchschreiber hätte das gut verstanden: Der Titel des Films ist „Die frohe Botschaft von Jesus Christus“ und die letzte Szene ist eine Großaufnahme von drei Frauen, die vor Schrecken und Furcht zittern und im Hintergrund ein leeres Grab.

 

Nein, für Hollywood taugt das ursprüngliche Ende nicht. Und für mich auch nicht.

 

 

 

Doch das Nibelungenlied mutet uns sowas zu. Mehr noch. In der Blutlache an Etzels Hof steht kein Unbekannter und verspricht uns, dass noch irgendetwas geschehen ist, dass unsere Augen nur noch nicht erkennen können.

 

 

 

Wir sind in einem Gottesdienst. Und eine der Aufgaben eines Gottesdienstes ist es, den Sinn hinter den Geschichten begreifbar zu machen.

 

Nur, gibt es den überhaupt im Nibelungenlied? Was soll der Sinn sein in diesem ewigen Kreislauf von Gemetzel und Mord?

 

 

 

Das Theater zwischen den Dörfern hat in ihrer Inszenierung einen Weg gefunden. Sie gehen diesen Weg nicht mit uns weiter. Sie zeigen uns als Publikum nur die Pforte zu diesem Weg. Gehen müssen wir ihn dann selber.

 

Und was machen wir jetzt?

 

Mit all den offenen Fragen?

 

Wer ist wirklich Schuld an dem schrecklichen Ende der Geschichte?

 

Und:

 

Hätte man das verhindern können?

 

 

 

Hätte man das verhindern können? In dieser Frage ist der ganze Sinn der Geschichte versteckt.

 

Und die Antwort müssen sie selber finden.

 

 

 

Hätte man das verhindern können?

 

Heute Morgen berichtete die Harke vom Kriegsende in Nienburg vor 80 Jahren.

 

Ein Ende wie das Nibelungenlied. Und wer damals die Trümmer von Nienburg gesehen hat oder das völlig zerbombte Hannover, wer die Leichenberge von Bergen-Belsen oder in Ausschwitz erblicken musste, für den werden die letzten Worte des Nibelungenliedes passend gewesen sein.

 

„Ich kann euch nicht sagen, was danach geschah,

 

nur dass man Herren und Damen,

 

dazu edle Ritter,

 

den Tod ihrer lieben Freunde beweinen sah“

 

 

 

Vielleicht waren diese Worte passend – aber es waren die falschen Worte.

 

Nicht den Schlußvers des originalen, 1000 Jahre alten Nibelungenliedes hätte da gesungen werden sollen angesichts der völligen Zerstörung die die verdammten Nazis hinterlassen haben.

 

Sondern den Schlusssatz der heutigen Inszenierung.

 

Und was machen wir jetzt?

 

Mit all den offenen Fragen?

 

Wer ist wirklich Schuld an dem schrecklichen Ende der Geschichte?

 

Und:

 

Hätte man das verhindern können?

 

 

 

Denn eine Antwort auf diese Frage brauchen wir heute. Die ersten Schritte hin zu einer Wiederholung dieser Katastrophe sind wir schon gegangen in diesem Land. Und ich habe große Angst, dass wir diesen Weg weiter gehen.

 

Wir hätten damals den Faschismus verhindern können. Und wir können das auch noch heute. Wir müssen es bloß tun.

 

Sehen sie gleich die Geschichte von Kriemhild und Siegfried, vom Drachen und Hagen von Tronje. Und fragen sie sich in jedem Moment, was anders hätte sein müssen, damit die Geschichte nicht in der Katastrophe enden muss.

 

Malen sie sich aus, wie ihre Welt aussehen würde, wenn sie die Schlussfrage, ob man das verhindern hätte können,  mit „Nein“ beantworten.

 

 

 

Die Bibel geht einen anderen Weg als das Nibelungenlied. Sie lässt die Geschichte nicht enden.

 

Nicht am Kreuz.

 

Nicht mit Furcht und Zittern der Frauen am Grab.

 

Und auch nicht mit der Auferstehung und Himmelfahrt.

 

 

 

Das Ende der Geschichte ist zwar geschrieben, aber es liegt für uns noch in der Zukunft. Es ist die Beschreibung vom Hereinbrechen von Gottes Reich. Und damit wird uns das Happy End versprochen, nach dem mich persönlich so sehr verlangt. Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen und der Tod wird nicht mehr sein. Nicht Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen.

 

Da sind wir noch nicht. Aber es wird uns versprochen. Das Ende der Geschichte steht der Bibel zufolge fest. Die Kapitel bis dahin aber, die schreiben wir! Mit unserem Leben und dem was wir tun und lassen. Und wie diese Geschichte bis zu ihrem Ende aussehen wird, das hängt auch davon ab, wie wir auf die Vergangenheit schauen und was wir daraus lernen.

 

Hätte man das verhindern können?

 

Alles was wir brauchen, um so etwas zu verhindern steht in der Bergpredigt.

 

Wir müssten nur darauf hören.

 

 

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.