2. Mai 2024

Zu Gast in Neubruchhausen durften wir mal wieder sein. Eine unserer Lieblingsgemeinden.

Und zum zweiten Mal gab es dort einen anderen Gottesdienst als angekündigt. Die Künstlerin war krank und wir haten 24 Stunden um uns etwas Neues auszudenken. Challenge heißt das heutzutage wohl...

 

Und wiedereinmal hat uns der PigletCircus aus der Klemme geholfen. "Was hast du für Lieder im Repertoire?" Und damit musste etwas gemacht werden. Wir haben dann Lieder von Frauen  als Kriterium genommen, eine Nachtschicht eingelegt und einen schönen Gottesdienst gehabt zu einem Thema das eh auf der Liste war: Frauen und Männer und die Frage ob es da Unterschiede gibt bei der Bibellektüre.

 

 

Predigt

 

 

 

38 Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf.

 

 39 Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu.

 

 40 Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, daß mich meine Schwester läßt allein dienen? Sage ihr doch, daß sie mir helfen soll!

 

 41 Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe.

 

 42 Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.

 

 

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

 

 

Mein Vikariat habe ich in Barskamp gemacht. 2005 war das. Meine Lehrpastorin teilte sich die Stelle mit ihrem Mann. Eine Woche hatte sie Dienst, in der darauffolgenden Woche er.  In dem Dorf gab es die Brodermänner, zwei alte unverheiratete Schwestern. Protestantisches Urgestein. Und irgendwann saß ich mit den beiden zusammen und dann erzählten sie mir, dass sie ja lieber in der Dienstwoche vom Pastor beerdigt werden wollten. Kann ja sein, dass in der modernen Welt auch Frauen predigen dürfen, aber sie selbst wollten dann doch lieber richtig unter die Erde gebracht warden. Und richtig hieß für die Brodermänner von einem Pastor und nicht von einer Pastorin.

 

 

 

Ich bin für diesen Gottesdienst die Bibel im Kopf durchgegangen nach Frauenfiguren. Statistisch ist dieses Buch doch eher männlich dominiert. Aber frauenlos ist die Heilige Schrift auch nicht.

 

 

 

Die zahlenmässig größte Gruppe unter den Frauen der Bibel ist die Frau an seiner Seite. Nicht einmal die Namen erfahren wir. Die wichtige Person der Geschichte war nicht Junggeselle, mehr scheinen die Frauen dieser Gruppe  nicht zum Handlungsablauf beizutragen.

 

 

 

Aber es gibt noch die anderen. Die, deren Namen wir kennen. Und unter den namentlich bekannten ist die größere Gruppe die, in der es um Frauenthemen geht, Und Frauenthema Nummer 1 im Alten Testament ist Unfruchtbarkeit. Und Gezicke zwischen Frauen, wer denn in der Gunst des Mannes höher steht.

 

 

 

Und dann gibt es die Frauen, die selbstständig sind, die, die Handlung voranbringen, die sich entwickeln dürfen.

 

Es sind mehr, als das Vorurteil der Kirche gegenüber vielleicht vermuten lässt, aber dennoch kann ich die an zwei oder drei Händen abzählen.

 

 

 

Dreimal wird das Volk Israel gerettet, weil mutige Frauen die jeweiligen gegnerischen Heerführer umlegen. Eine namenlose Frau wirft dem Heerführer Abimelech einen Mühlstein auf den Kopf. Judith schlägt Holofernes den Kopf ab, Jael erledigt Sisera mit einem Holzpflock durch die Schläfe.

 

 

 

Rahab, eine Prostituierte aus Jericho, hilft beim Ausspähen der Stadt während des Eroberungsfeldzugs von Josua.

 

 

 

Es gibt Rut, die ihre Loyalität mit der Schwiegermutter unter Beweis stellt,

 

Abigajil, die an ihrem Mann vorbei und ohne sein Wissen eine Schlacht verhindert. Ester gibt es, die einen Pogrom gegen ihr Volk verhindert. Die Königin von Saba, von der wir als Bibelleser nicht viel erfahren, die aber als Frau ein ganzes Land regiert. Königin Isebel und Herodias, die beide als negative Charaktäre doch so viel stärker gezeichnet werden als ihre Männer. Die Frauen in den Evangelien, die am Ende sich als so viel zuverlässiger und mutiger erwiesen hhaben, als die Jünger.

 

 

 

Nein, völlig frei von handelnden Frauen, von starken Frauen, von selbst entscheidenden Frauen ist die Bibel nicht.

 

 

 

Als ich mit meinem Durchgang durch die Bibel fertig war, ist mir etwas klar geworden. Ich hatte mehr biblische Figuren unter den Frauen gefunden, die ich meinen Töchtern als Vorbild für den eigenen Lebensweg wünschen würde, als ich für mich selbst an männlichen Vorbildern in der Bibel finden kann. Und wenn ich mir erlaube, bei meinen Vorbildern in der Bibel ganz unabhängig von meinem eigenen Geschlecht zu wählen, dann sind wohl mehr Frauenfiguren darunter als Männer.

 

 

 

Bei den Männern geht es viel um Macht. Denn die Bibel berichtet nicht nur von Religion, sondern behinhaltet auch die Geschichtsschreibung eines Volkes. Und da die Mächtigen die Chronisten bezahlten, ist viel aus der Perspektive der Mächtigen geschrieben.

 

 

 

Männer oder Frauen….

 

Ist das wirklich so entscheidend? Ist das Geschlecht die Grenze dafür, mit wem ich mich selbst identifiziere? An manchen Stellen der Bibel ist das so. An den Stellen, an denen es um das Verhältnis zwischen Männern und Frauen geht, aber so wichtig dieser Aspekt auch im täglichen Leben ist, es gibt im Leben der Männer auch noch andere Themen als das andere Geschlecht. Und ich habe die leise Vermutung, dass es Frauen da nicht anders gehen mag.

 

 

 

Es ist jetzt etwas abgeflaut, aber die letzten Jahre war die öffentliche Diskussion von einer Geschlechterfrage dominiert.

 

Männlich, weiblich divers, Lesbisch, schwul, queer. Es ging und geht unglaublich viel um sexuelle Identität. So viel, dass es mir, wenn ich ehrlich bin, auf den Keks ging.

 

Aber nach so vielen Jahrhunderten, in denen jegliche Neigungen und Identitäten, die nicht dem klassischen Schema Mann und Frau entsprechen, unterdrückt wurden, werden wir als Gesellschaft es vielleicht einfach eine Zeit ertragen müssen, dass es im Moment ein so großes und dominierendes Thema ist.

 

Und vielleicht ist diese zur Zeit etwas überhitzte Diskussion ja auch ein Weg, bei uns selbst zu schauen, wo die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht etwas entscheidendes ist und wo uns eine Fokusierung auf Geschlechterrollen etwas verpassen lässt.

 

 

 

Von den Frauen wurde das in der ganzen Theologiegeschichte erwartet. Dass sie sich halt hineinfinden müssen in Geschichten, die von Männern erzählen und die von Männern ausgelegt werden, denn erst seit 40 Jahren sind Pastoreninnen ihren männlichen Kollegen in allen Hinsichten – zumindest formal – gleichgestellt. Und die ersten Pastorinnen haben ihre Ausbildung gemacht, in einer von Männern dominierten Universität. Das aufzubrechen hat lange gedauert und der Weg ist noch lange nicht an ein Ende gekommen. Auf diesem Weg hin zu einer nicht allein männlich ausgerichteten Theologie gab es genauso Fehlwege, Sackgassen und Ungerechtigkeiten, die für den Prozess wohl notwendig waren. Vorlesungen der feministischenTheologie, zu der Männer nicht zugelassen waren.

 

Eine Einschränkung, wer welche Lehrveranstaltungen besuchen darf, aufgrund des Geschlechtes, ist etwas, das ich eigentlich an unseren Universitäten entschieden ablehne.

 

 

 

Ich bin neugierig. Und so habe ich in meiner Berliner Studienzeit versucht ein solches Seminar der feministischen Theologie zu besuchen. Ich habe die Einschränkung, die im Vorlesungsverzeichnis deutlich benannt war, einfach ignoriert und habe mich in die Vorlesung gesetzt.

 

Zwei Semester lang bin ich rausgeflogen.

 

Erst im dritten Anlauf geriet ich an eine Professorin, die von dieser Einschränkung ebenfalls nichts hielt und ich durfte erfahren, wie der Begriff feministische Theologie überhaupt verstanden wird.

 

 

 

Diese Lehrveranstaltung gehört mit zu dem Besten, was ich in meinem Studium hatte. Mit sehr großer wissenschaftlichen Genauigkeit und nach allen Regeln der exegetischen Kunst haben wir in dieser Vorlesung darauf geschaut, ob und wenn ja wie die Frage des Geschlechtes in den biblischen Geschichten eine Rolle spielt.

 

 

 

Mein Ergebnis aus dieser Vorlesung war recht eindeutig und selbst die, entschuldigen sie die Zuspitzung, selbst die verbohrtesten Emanzen, haben das teilen können oder vielmehr müssen: Wenn man in die Urtexte schaut, dann ist die Frage des Geschlechtes eigentlich von eher geringen Bedeutung.

 

 

 

Die Unterscheidung, die männlich dominierte Sicht und Auslegung, ist etwas, dass erst später dazukam. In den Jahrtausenden einer männlich dominierten Kirchengeschichte.

 

Und da war es für uns Männer so einfach. Wir mussten ja nur auswählen, welche biblischen Frauen wir überhaupt erwähnen.

 

Und wenn wir doch mal auf die spannenden, die selbstbewussten und eigenständigen Frauen kamen, dann wurde ganz schnell sexualisiert. Werfen sie einen Blick in die Kunst – wieviel blanken Busen man in den Darstellungen sieht, obwohl Nacktheit im biblischen Text überhaupt nicht vorkommt und die Geschichte auch nicht voranbringt. Das ist die einzige Macht, die wir Männern in der Theologie den Frauen zugestanden haben: Die der Verführung.

 

Hure oder Heilige – sehr viel mehr Differnzierung scheint es so viele Jahrhunderte lang nicht gegeben zu haben.

 

 

 

Ich habe gestern mit Sarah zusammengesessen und wir haben überlegt, was wir in der kurzen Zeit die wir hatten, für heute abend vorbereiten könnten. Ich hatte eine Liste mit den Liedern aus ihrem Repertoire und in Ermangelung der Zeit kam ganz schnell eine Auswahl von Lieder unter dem Aspekt Frauen heraus.

 

Werfen Sie einen Blick auf die Lieder.

 

 

 

Alles Lieder von Frauen gesungen. Alles Lieder, die für Frauen geschrieben wurden.

 

 

 

Liebe Männer, schaffen sie das? Könnten sie versuchsweise sich selbst in diesen Liedern wiederfinden?

 

 

 

Soll es für sie auch rote Rosen regnen?

 

Kennen sie die Erfahrung, dass ihre Idee von anderen, höhergestellten zwar genommen, aber dann nicht angenommen, sondern ihnen aus der Hand genommen und völlig entfremdet wird, wie es Melanie im Lied What have they done to my song ergeht?

 

 

 

Erinnern sie sich an Momente ihrer Jugend, in der sie sich aufgemacht haben in ein Abenteuer wie es Janis Joplin in ihrem Lied Me and Bobby McGee besingt?

 

Werden sie sich nach dieser Predigt in den Liedern wiederfinden, die noch gesungen warden?

 

 

 

Vielleicht mag Ihnen das gelingen. Aber das liegt dann auch an der Liedauswahl. Denn die Lieder aus Sarahs Repertoire sind Lieder, in denen Frauen ihren Weg gehen und in denen das weibliche Geschlecht allerhöchstens eine Rolle spielt, indem diese Rolle durchbrochen wird. Es sind Lieder von starken Frauen.

 

 

 

Diese Liedauswahl verdanken wir unserer Mutter. Denn meine drei Schwestern haben alle drei einen Satz von ihr mit ins Leben bekommen, den ich versucht habe 1 zu 1 meinen Töchtern mit ins Leben zu geben:

 

 

 

“Macht was ihr wollt. Aber wagt es nicht, etwas nicht zu tun, mit der Entschuldigung, dass ihr eine Frau seid.”

 

 

 

 

 

Liebe Männer,

 

Wir haben etwas verpasst. Durch diese dämliche Sortierung nach Geschlechterrollen haben wir gute biblische Geschichten verpasst. Durch diese Sortierung nach Geschlechterrollen haben wir es uns selbst verwehrt, die volle Bandbreite an Vorbildern auszunutzen, die uns zur Verfügung gestanden hätten.

 

 

 

Wie hätte unsere Welt ausgesehen, wenn wir Männer uns nicht an einem König David orientiert hätten, der als Machtpolitiker sich rücksichtslos durchgesetzt hat, sondern stattdessen eine Abigaijl zum Vorbild genommen hätten, die durch geschickte Diplomatie ein Blutbad verhindern konnte.

 

 

 

Und gleichzeitig haben wir den Frauen vorgegeben, sich mit einer eingeschränkten Auswahl an Geschichten zufrieden zu geben. Und ihnen dabei viele hilfreiche Geschichten durch unsere männlichen Deutungen verwässert haben.

 

 

 

Mit was schicke ich sie nach Hause? Vielleicht einfach nur mit dem Ratschlag sich zu überlegen, ob Geschlecht wirklich immer etwas Entscheidendes ist, in ihrem Verständnis der Welt und der biblischen Schriften.

 

 

 

Ich habe Ihnen als als Lesung die biblische Geschichte von Marta und Maria vorgelesen.

 

Zwei Schwestern. Beide unverheiratet aber mit einem eigenem gemeinsamen Haushalt. Sicherlich etwas Besonderes in der damaligen, männerdominierten Zeit. Zwei Schwestern, die auf verschiedenen Wegen und mit unterschiedlichem Festhalten an Geschlechterrollen nach Jesu Aufmerksamkeit suchen.

 

 

 

Wenn ich festklebe an den geschlechtlichen Rollenverständnissen, dann kann ich sagen, das ist eine Geschichte für Frauen. Wir Männer haben ja die gleiche Geschichte für uns bei Kain und Abel. Zwei Brüder, die nach Gottes Aufmerksamkeit suchen.

 

 

 

Aber wenn ich ehrlich bin, dann möchte ich mich nicht unbedingt an jemanden orientieren, der seinen Bruder erschlagen muss, um den Konflikt zu lösen.

 

Wieviel mehr würde es mir für mein Leben bringen, wenn ich in der Lage wäre, über das Geschlecht hinwegsehen zu können und statt Mord und Totschlag den Weg von Maria und Marta einzuschlagen und mich trauen würde, meine bisherige Weltsicht hinterfragen zu lassen, anstatt jemanden zu erschlagen.

 

 

 

Und wenn man das tut, dann verspreche ich Ihnen: Sie werden dadurch nicht weniger Mann sein. Allerhöchstens weniger Macho, aber das wäre ja vielleicht gar nicht so schlimm für unsere Welt.

 

 

 

Und wenn man etwas offener auf die Geschichten schaut, dann finden sich vielleicht ganz neue Antworten auf die biblischen Fragen.

 

Stellen sie sich einfach vor, Jesus hätte auf Martas Beschwerde, dass ihre Schwester nicht im Haushalt hilft, geantwortet:

“Tja irgendwer muss den Haushalt ja machen.

 

Aber das bist nicht du heute!

 

Setzt dich einfach zu deiner Schwester-  und Petrus und die anderen Jüngern übernehmen den Abwasch.”

 

 

 

 

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.